Mittwoch, 30. April 2014

Marsch des Lebens in Ungarn

Ana Veghazi, ungarischstämmige Jüdin, habe ich in Santiago de Chile kennengelernt. Sie war Überlebende eines Todesmarsches in Ungarn. Eine beeindruckende Frau, die Fürchterliches durchgemacht hat und nur dank eines Zufalls überlebte. 
Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Ungarn im März 1944 begann die systematische Vernichtung der Juden in Ungarn. 565.000 Menschen kamen um. Nach dem Stopp der Deportationen nach Auschwitz im Juli 1944 kam es unter der nationalsozialistischen ungarischen Regierung zu systematischen Pogromen an der jüdischen Bevölkerung und zu Todesmärschen nach Österreich. Von den 85.000 Juden, die auf diese Todesmärsche geschickt wurden, kamen mindestens 25.000 auf dem Weg durch Erschießung, Hunger, Erschöpfung oder Krankheit ums Leben. Ana gehörte zu den Überlebenden. 
Im Jahre 2007 fand zum ersten Mal ein sog. "Marsch des Lebens" in Erinnerung an die Ereignisse damals statt. Ende April diesen Jahres erinnerte man sich zum  70. Mal an das Geschehene. Entlang der Route der historischen Todesmärsche vom November 1944 ging der Weg, der vier Tage dauerte und in Budapest endete. Mit Gottesdiensten und Gedenkveranstaltungen setzen Christen aus unterschiedlichen Denominationen mit Holocaustüberlebenden und Menschen aus jüdischen Gemeinden ein Zeichen für Versöhnung. 
Bischof Fabiny von der lutherischen Kirche Ungarns schrieb eine unterstützende Grußbotschaft: "Als Befürworter der jüdisch–christlichen Versöhnung unterstütze ich dieses Projekt mit gutem Herzen. Ich tue das als einer der Bischöfe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn, aber auch als Vorsitzender der Christlich–Jüdischen Gesellschaft in Ungarn.... Als Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn stehen wir ein gegen Diskriminierung und Hass. Unsere Kirche war immer schon eine einladende und bunte Minderheitskirche. Zu unseren Kirchengemeinden gehören auch Menschen slowakischer und deutscher Nationalität. Das hilft uns auch in der Gegenwart Toleranz zu üben und Minderheiten zu schätzen. Gegen den Antisemitismus und gegen jede Art von Diskriminierung zu kämpfen ist für uns nichts Neues. Im 20. Jahrhundert haben wir zwei totalitäre Diktaturen erlebt, die Braune vor und während des 2. Weltkriegs und die Rote in der 2. Hälfte des Jahrhunderts. Die Kirche hat in einer Diktatur die Aufgabe, sich für die Kleinen und Schwachen einzusetzen... Viele Arten von Extremismus sind in Ungarn derzeitig gegenwärtig. Dagegen erheben wir als lutherische Kirche unsere Stimme." Und er betont am Ende, dass der "Marsch des Lebens" ein Zeichen der Versöhnung sein möge und helfen möge, nicht zu vergessen. 
Für Ana Veghazi war genau das im christlich-jüdischen Dialog in Santiago wichtig, wenn sie von ihren Erlebnissen auf dem Todesmarsch berichtete. Sie hätte sich gefreut zu hören, dass auf der Route, die sie gegangen ist, jetzt ein Marsch des Lebens entlangführt. Ana starb im Jahr 2012. Ana werde ich nicht vergessen... - Enno Haaks

Dienstag, 29. April 2014

Es gibt noch christliches Leben in Syrien!

"Im Namen unserer evangelischen Mitgliedskirchen im Fellowship of Middle East Evangelical Churches (FMEEC) danke ich dem GAW, der Badischen und der Rheinsichen Landeskirche ganz herzlich für die Hilfe, die wir nun schon zum dritten mal erhalten haben," berichtet Rose Jarjour, Generalsekretärin des FMEEC mit Sitz in Beirut. Auf die Nachfrage wie es ihrer Familie in Syrien geht, berichtet sie bewegt, dass es zwar Mitglieder ihrer christlichen Familie gibt, deren Häuser zerstört wurden. Aber aus ihrer Familie gäbe es noch keinen Todesfall.
Das dritte Hilfspaket konnte inzwischen in Aleppo verteilt werden unter den entsprechenden großen Schwierigkeiten. "Aber es gibt inzwischen wieder Wasser und auch ab und zu elektrischen Strom," sagt Rose. "Die Hilfe an Medikamenten, Lebensmitteln und Decken und Matratzen ist angekommen!"
Auch in Homs gibt es noch evangelisches Leben. "Die Altstadt ist zerstört. da gibt es kein Leben mehr," sagte Rose. "Aber die Schule und das Altersheim, die das GAW unterstützt hat, können weiterhin arbeiten und die Eltern schicken ihre Kinder auf die Schule!" 
Es ist ambivalent, was man aus Syrien hört. Wichtig ist es, wahrzunehmen, dass es bei der großen Not, die herrscht, und die viele Syrer zur Flucht zwingt, auch hört, dass es immer noch Menschen gibt, die an einer friedlichen Zukunft festhalten, und die im Land bleiben wollen. Syrien braucht die Christen," sagt Rose. "Und Syrien braucht die evangelische Stimme! Deshalb bitte ich die evangelischen Kirchen auch in Deutschland und deren Hilfsorganisationen, uns nicht zu vergessen!" - Enno Haaks

Montag, 28. April 2014

Bischof Bünker zum 60. Geburtstag

Bischof Bünker (re) und Dr. W. Hüffmeier 
Der Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich Michael Bünker feierte Ende April seinen 60. Geburtstag und wurde in diesem Zusammenhang von der Republik Österreich mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichens mit Stern seines Heimatlandes ausgezeichnet. Gelobt wurde er dabei für seine klare und gradlinige Weise mit der er "weit über den religiösen Bereich hinaus" wie etwa im sozialen oder pädagogischen Feld in der Öffentlichkeit als "moralische Autorität" sich äußert und wahrgenommen wird. Erinnert wurde an Bünkers klare Distanzierung und Verurteilung des Antisemitismus in Österreich. Er habe den Zusammenhang von Migration und Religion zum Thema gemacht und allen Versuchen, Politik zu "religionisieren" bzw. Kirchen politisch zu instrumentalisieren, eine Abfuhr erteilt. "An Michael Bünker zeigt sich, dass auch eine Minderheitskonfession markante Persönlichkeiten hervorbringt," betonte Ministerialrat Karl W. Schwarz in seiner Laudatio. Bünker, am 26. April 1954 in Leoben geboren und in Kärnten aufgewachsen, ist nicht nur Experte für Neues Testament. Er habe sich auch in die Systematische Theologie, vor allem jene von Wilhelm Dantine, vertieft. Darüber hinaus machte er sich auch als Religionspädagoge einen großen Namen, wie seine zahlreichen Publikationen zeigen. "Diese Veröffentlichungen weisen Bünker als kompetenten Professor aus, dem durchaus eine akademische Karriere zugetraut wurde, manche hätten ihn gerne am Katheder der Evangelisch-Theologischen Fakultät gesehen", so Schwarz. Bischof Michael Bünker sei aber nicht nur wegen seines bischöflichen Wirkens einer breiten Öffentlichkeit bekannt, betonte Schwarz. Als Kabarettist, Schriftsteller und Musiker habe er schon mehrfach das Publikum für sich gewinnen können.
Bischof Michael Bünker ist mit dem GAW eng verbunden. Als Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa ist er in diesem Amt Nachfolger des Präsidenten des GAW Dr. Wilhelm Hüffmeier.
Herzlichen Glückwunsch - Michael!!! Wir schätzen Dich sehr und sind dir dankbar für die segensreiche Zusammenarbeit!!!

Freitag, 25. April 2014

Konfirmation 2014 - Denkt an die Konfigabe des GAW!!!

In ganz Deutschland werden in den kommenden Wochen Konfirmationen gefeiert. Für das Leben in den evangelischen Gemeinden gehören diese Gottesdienste zu den Höhepunkten im Gemeindeleben. Für die Pfarrer und alle die, die die Konfirmanden vorbereitet haben, geht eine intensive Zeit zu Ende. Und es bleibt die Hoffnung, dass die Konfirmation ein Bekräftigung und ein klares JA zum Leben in der Nachfolge Jesu sein möge. 
Zu dem Leben in der Nachfolge gehört es zu lernen, abzugeben. Jesus sagt: "Geben ist seliger als nehmen." So gehört zu jedem Gottesdienst diese Übung des Abgebens dazu - die Kollekte. 
Dazu will auch die Konfi-Gabe des GAW Hilfestellungen geben, wenn zur Konfirmation Konfirmanden eingeladen werden, sich an einer Solidaritätskollekte zu beteiligen.
In diesem Jahr wird unter dem Wort der Jahreslosung "Gott nahe zu sein ist mein Glück!" für Konfi-Projekte in Kolumbien (Jugendliche, die vor dem Bürgerkrieg geflohen sind!) und Transkarpatien/Ukraine (Ferien für Jugendliche, die sonst nicht diese Chance haben!).
Wir bitten um Hilfe, diese wichtigen Projekte zu unterstützen. Sie sollen den Konfis zudem zeigen, dass es weltweit evangelische Christen gibt, mit denen wir verbunden und die unsere Solidarität brauchen. 

Ihr könnt dabei HIER helfen!




Donnerstag, 24. April 2014

Das GAW vor 100 Jahren

Im Juli vor 100 Jahren brach der Erste Weltkrieg aus - eine der größten menschengemachten Katastrophen. Er wütete nicht nur in Europa, sondern auch im Nahen Osten, in Afrika, Asien und auf dem Meer. Ca. 70 Millionen Menschen standen unter Waffen und etwa 40 Staaten waren am Krieg direkt oder indirekt beteiligt. Rund 17 Millionen Menschen starben. 
Wie auf alle Lebensbereiche hatte dieser Krieg katastrophale Folgen auch für die Arbeit des GAW. "Hat sohin unsere Auslandsarbeit unter den Nichtdeutschen unserer Glaubensgenossen, mit der einzigen Ausnahme von Belgien, ein Ende gefunden, dem in absehbare Zeit kaum bedeutende Neuanfänge folgen werden, so gilt nun unserer deutschen Auslands-Diaspora das Wort..." - schrieb der damalige Generalsekretär Bruno Geißler 1915, nachdem im Kriegsjahr die für den Oktober geplante Abgeordnetenversammlung ausfallen musste. "Das GAW mußte seine gewohnte Arbeitsweise kriegsmäßig abändern," schrieb Geißler. So wurde auf große Jahresfeste verzichtet. Auf den Treffen wurden die Namen der Gefallenen und dem GAW verbundenen Menschen verlesen. 
"Der Rückgang unserer Einnahmen von 1914... wird vermutlich für 1915 noch weiter anhalten..." und dann gibt Geißler seiner Hoffnung Ausdruck, dass es ab 1916 unter besseren Bedingungen neue Arbeitsfelder geben möge. Das traf nicht ein. Das GAW ging erheblich beschädigt aus dem verheerenden Krieg hervor und brauchte, sich neu auszurichten. Zahlreiche Arbeitsfelder gingen verloren und in einigen Ländern wurde es unmöglich zu arbeiten. 

Mittwoch, 23. April 2014

Hilfe für das Strassenkinderheim in Valencia/Venezuela

Yonger ist 10 Jahre alt. Er hat fünf Geschwister, aber nur zwei von ihnen leben auch im „Casa Hogar“. Sein Vater sitzt im Gefängnis, weil er mit Drogen gehandelt hat. Die Mutter hat die Kinder verlassen. So wuchs er weitgehend alleine auf der Straße auf. Seit zwei Jahren lebt er im „Casa Hogar“. Es gefällt ihm. Er sagt: „Hier habe ich sogar ein eigenes Bett! Und ich habe immer etwas zum Essen! Außerdem haben wir mit den anderen Kindern viel Spaß!“ „Casa Hogar“ ist ein Straßenkinderheim, das seit 1993 zur evangelisch-lutherischen Gemeinde in Valencia (gegründet 1953) gehört. Neben der Herbergsfamilie hat die Gemeinde durch Zuweisung des Staates insgesamt 15 männliche Kinder und Jugendliche aufgenommen. Der Staat gibt zur Finanzierung nichts dazu. So ist die Gemeinde auf Spenden und eigene Einnahmen angewiesen. Durch einen kleinen Handwerksbetrieb und eine eigene Bäckerei erwirtschaftet das Heim inzwischen einen Eigenanteil, der jedoch nicht ausreicht. Mit einigen anderen christlichen Gemeinden bemüht man sich, durch Aktionen und Freundeskreise die notwendigen laufenden Mittel zu erwirtschaften. Für die Gemeinde ist dieses sozial-diakonische Engagement sehr wichtig. Denn – so Pastor Hands: „Wer kümmert sich denn sonst um die Kinder? Was soll aus ihnen werden?“ Deshalb bemüht sich die Gemeinde sehr, den Kindern eine gute Schulausbildung zu geben und sie in das Gemeindeleben zu integrieren. Dafür wurde mit Hilfe des GAW im vergangenen Jahr ein Kleinbus angeschafft.
Jetzt ist das GAW gebeten worden, sich um die Sicherheit von Casa Hogar zu kümmern. Denn wichtig ist, dass die Kinder und Jugendlichen sicher wohnen. Überfälle sind keine Seltenheit. Das Gelände des „Casa Hogar“ soll mit einer Mauer umgeben werden, damit Kinder wie Yonger gut und sicher betreut werden können. 
In Venezuela als lutherische Gemeinde zu arbeiten und sich diakonisch zu engagieren ist derzeit mit großen Schwierigkeiten verbunden.
Auf der Homepage des GAW haben wir darüber berichtet.

Dienstag, 22. April 2014

„So viel du brauchst – auf dass wir klug werden“ - von Vera Gast-Kellert

Da sitzen wir auf unseren gepackten Koffern und warten auf den Abflug. Fünf intensive und erfüllte Wochen in fünf lateinamerikanischen Ländern, Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien und Kolumbien liegen hinter uns. Ich blicke auf all unser Gepäck. Klar, es bleibt unter der vorgeschriebenen Gewichtsobergrenze, und schließlich ist ja auch in meinem Koffer noch ein Talar, der Platz braucht und wiegt. Dennoch, wie viele der Dinge, die ich hier herumgeschleppt habe, brauche ich gar nicht!! Wie war doch das Motto des letztjährigen Kirchentages in Hamburg? „So viel du brauchst“.
Ich denke an die Kogi in Kolumbien, die wir besucht haben, und an ihre Mochila. Jeder Kogi, Mann, Frau und Kind, trägt die Mochila, einen kunstvoll hergestellten Beutel, um die Schulter, und darin befinden sich die Sachen, die sie brauchen: bei den Frauen sind das oft das Garn und die Nadel für ihre Handarbeit, nämlich die Mochila, die sie immer, selbst beim steilen Aufstieg machen. Bewundernswert. Die Männer tragen etwas Werkzeug darin, die Kinder manchmal Stifte oder ein kleines Spielzeug. Und dann haben sie die Hände frei, frei um sie mir zu reichen beim Absteigen, frei um zu handarbeiten, zu schrauben, zu pflücken, zu kochen, zu spielen, einander zu helfen…..Meine Hände sind nun voll, in der einen ziehe ich den schweren Koffer, in der anderen halte ich das „Handgepäck“. Gott sei Dank ist es wenigstens ein Rucksack, den ich gleich auf den Rücken schultere.
Was unbedingt in meine Mochila gehört: Dankbarkeit für die unglaubliche Gastfreundschaft, die vielen Gespräche und Anregungen, die wunderbare Bewahrung, die ich auf dieser einmaligen Reise erfahren habe. Fünf Buchstaben drücken das aus, und die passen in die Mochila: Danke!
Ob mich die Erinnerung an die Mochila klug macht für die nächste Reise? Ich möchte oft daran denken wenigstens bis zum nächsten Kirchentag in Stuttgart 2015: “auf dass wir klug werden“. - von Vera Gast-Kellert

Freitag, 18. April 2014

„Konfirmiert nach dreitägigem Studium von Luthers kleinem Katechismus“ - Gespräch mit dem Direktor der Diakonie der IELCO Jairo Suárez - von Vera Gast-Kellert

Martin trifft ihn gleich am ersten Abend im Haus der Iglesia Evangélica Luterana De Colombia (Evangelisch-Lutherische Kirche von Kolumbien - IELCO), und sie kommen sofort ins Gespräch auf Portugiesisch, denn Pastor Jairo Suárez hat in São Leopoldo Theologie studiert, wie früher alle lutherischen Theologen und Theologinnen aus Kolumbien. Aber auch Englisch ist kein Problem, denn er war für ein Jahr Student in den USA. So ist das Gespräch mit ihm sofort intensiv und lebendig. Heute ist er Direktor und Koordinator der Diakonie seiner Kirche. Wie er dazu kam? Er lacht. Das ist so eine lange und spannende Geschichte. „Als Achtjähriger wurde ich von einem Onkel in die “Assembleia de Deus“, eine Pfingstkirche, eingeladen. Doch mein Onkel und meine Tante begannen dann, eine evangelikale Kirche nach der anderen zu besuchen.“ Dieses Sogenannte „Churchhopping“ ist wohl typisch für viele suchende Menschen in Lateinamerika. – Als Jairo 14 Jahre alt war, wurde er in einer Baptistenkirche wiedergetauft und begann gleich danach zu predigen. „Seitdem habe ich nicht aufgehört zu predigen“, lacht er. Nach der Höheren Schule kam der Militärdienst. Der ist in Kolumbien Pflicht. Aber da er ein guter Sportler, vor allem Sprinter, war, wurde er vom Dienst an der Waffe befreit und durfte sein Bataillon sportlich vertreten. Danach war er arbeitslos. Für ein Studium fehlte das Geld. Doch dann wurde er gefragt, ob er nicht an einer lutherischen Grundschule auf dem Lande im Osten Kolumbiens unterrichten wolle. „Das war Unterricht in den ersten Klassen“, entschuldigt er sich. Er nahm das Angebot an, aber war weiter Baptist. Doch dann kam eine weitere Herausforderung. Der lutherische Pastor an dem Ort war mit einer Kanadierin verheiratet, und die erkrankte plötzlich schwer an Krebs. Das bedeutete, dass die Familie dringend zur Behandlung nach Kanada fuhr. Nun war die Gemeinde ohne Pastor, und da Jairo als Lehrer tätig war, wurde er gefragt, ob er nicht die Gottesdienste übernehmen und predigen könne. Er blieb aber weiterhin Baptist. Er kam der Bitte nach, und als der Pastor nach einem halben Jahr zurückkehrte, war die Gemeinde um ein Vierfaches gewachsen. Das Gebäude war zu klein, und die Menschen saßen auf den Fensterbänken, wenn er predigte. Natürlich war der Pastor sehr erstaunt über diese Entwicklung. Er gab Jairo Luthers Kleinen Katechismus zu lesen, und nach drei Tagen konfirmierte er ihn! „Stell dir vor, nach drei Tagen!“ Im Fernstudium studierte er schon Philosophie und Geschichte, später denn Theologie in São Leopoldo. Seit 25 Jahren arbeitet er in der IELCO und hat 2002 die Menschenrechtsbewegung gegründet.  Worin sieht er die Herausforderungen für die Lutherische Kirche in den nächsten Jahren? „Ein besonderes Ereignis ist das Reformationsjubiläum 2017. „Wir versuchen, die beste Lutherbibliothek in Kolumbien, wenn nicht in ganz Lateinamerika aufzubauen! Viele kommen dazu hier in unser Haus und recherchieren. Wir haben festgestellt, dass das Interesse an Luther in den letzten fünf Jahren sehr gestiegen ist – und das in einem so katholischen Land wie Kolumbien. Ein Anstoß war die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, ein zentrales Dokument der Ökumenischen Bewegung, zwischen dem Lutherischen Weltbund (LWB), der römisch-katholischen Kirche und dem Weltrat methodistischer Kirchen am 31. 10. 1999 in Augsburg. – Eine weitere Heerausforderung ist die Entwicklung der Menschenrechte in Kolumbien. Heute ist die Situation zwar besser als vor 4-6 Jahren. Aber den Anstoß für ihn gab die Beschäftigung mit traumatisierten Menschen in seiner ersten Gemeinde in Ibagué südwestlich von Bogotá. 60% der Gemeindemitglieder waren in irgendeiner Weise von Vertreibung durch Drogenbosse und multinationale Konzerne betroffen. Viele hatten auch Angehörige verloren, die verschwunden waren oder getötet wurden. Unter dem Vorwand, die Guerilla zu bekämpfen, ging die Regierung gegen die Zivilbevölkerung vor. Viele der über 3 Millionen vertriebenen Menschen flohen in die Großstädte, die wie Pilze wuchsen. Für die Bauern war die Lage auch sehr schwierig. Sie wurden oft zum Anbau von Drogen gezwungen, weil die Drogenbosse ihnen die besten Angebote machten. Auch die großen multinationalen Konzerne verfolgen ihre Interessen gegen die der Bevölkerung. „Die Lutherische Kirche (IELCO) ist eine missionarische Kirche, die im Wesentlichen finanziell ganz auf sich gestellt ist. Es gibt zwar eine gewisse Hilfe vom LWB und auch aus den USA von der Evangelical Lutheran Church of America (ELCA), aber die Frage der Pfarrergehälter und der Verwaltung ist äußerst schwierig. Wir sind eine Kirche der Armen. Die meisten Mitglieder sind arbeitslos und können keine Beiträge leisten, höchstens um die Miete des Gemeinderaumes zu zahlen oder durch Beteiligung an der Arbeit. Der Durchschnittslohn in Kolumbien liegt bei etwa 250 bis 270 Dollar pro Monat. Aber viele leben von zwei Dollar pro Tag! – Wir haben als Kirche einen Missionsplan entwickelt und versuchen auch, aus Mieteinnahmen einiger Wohnungen, die wir besitzen, Pfarrergehälter zu zahlen. Ihr habt gesehen, wie schwierig die Arbeit für die Pfarrer ist bei den weit auseinander liegenden Gemeinden, ohne Auto und auch bei dem Verkehr. Und dabei ist die Hauptaufgabe eines Pfarrers, einer Pfarrerin, besonders hier in Kolumbien und in den großen Städten wie Bogotá, die Menschen zu besuchen, ihren Alltag zu kennen. Wir müssen eine Kirche sein an der Seite der Menschen.“ - Vera Gast-Kellert

Donnerstag, 17. April 2014

„Solo por fé – allein durch Glauben“ Begegnungen in lutherischen Gemeinden in Bogotá - von Vera Gast-Kellert

Heute am Tag vor unserer Rückreise nach Deutschland ist intensives Bogotá-Programm angesagt. Um 9 Uhr treffen wir Pastor Jairo Suárez, den Direktor der Diakonie der Iglesia Evangélica Luterana De Colombia (Evangelisch-Lutherische Kirche von Kolumbien - IELCO). Mit dem Auto des Bischofs, der zurzeit in Mexiko weilt, will er mit uns eine Rundfahrt durch die 8-Millionen-Stadt machen. „Ein Auto können wir uns nicht leisten“, sagt er deutlich und weist auch auf seine Frau Liria Consuelo Preciado, die mit uns im Auto fährt. Sie ist ja die erste Pastorin der IELCO, die ich am Vortag kennengelernt hatte. Sie will zu ihrer kleinen Gemeinde.
Und so sausen wir gen Süden, vorbei an Parks, über breiten Ausfallstraßen, sehen lange Reihen von Inline-Skatern und Fahrradfahrern, auch die „Bici-Taxis“, eine Art Rikscha, die an uns vorüberflitzen, während wir uns von Ampel zu Ampel kämpfen. An jeder Ampel versuchen die verschiedenen Verkäufer ihr Glück mit Popcorn, Getränken oder auch Tennisschlägern. Interessant und gut ist, dass die großen roten Busse der Gesellschaft „Transmilenio“ auf einer Extraspur und deshalb nicht im Stau fahren, allerdings auch an der Ampel halten müssen. „Das Autofahren in Bogotá ist eine Herausforderung“, meint Jairo, „wer in Bogotá fahren kann, schafft das auch überall in der Welt“. 
Wie die Situation auf den Straßen ist, wird daran deutlich, dass Jairo Olaf dringend bittet, seine Hand während der Fahrt nicht aus dem Fenster zu halten. „Da kann jemand kommen und dir die Uhr vom Arm reißen!“ Dann ertönt lautet Reklame. Ich wittere eine politische Propaganda. „Nein, nein, das ist Werbung für Milchreis.“ – so geht das eine Stunde.
Consuelos Gemeinde liegt im Süden der Stadt und heißt „El Porvenir“. Das bedeutet so viel wie „Zukunft“. Die Armut ist hier erschreckend und eine Zukunftshoffnung zu vermitteln eine große, fast kaum vorstellbare Aufgabe. Hier leben etwa 1 Million Menschen. Der Unterschied zwischen dem Süden und dem Norden der Stadt ist riesig.
Normalerweise fährt Consuelo mit dem Bus hierher, das bedeutet zwei Stunden Fahrt. Am Sonntagmorgen muss sie deshalb um 6 Uhr los, da der Gottesdienst um 8 Uhr beginnt. Wir kommen bei der Gemeinde an. Sie ist außen durch kein Schild erkennbar. „Nein, der Hausbesitzer wollte das nicht.“ Der kleine Raum ist gemietet, und an diesem Mittwochmorgen in der Karwoche haben sich ein paar Menschen zum Fasten und zum Gebet versammelt. Sie begrüßen uns nun. Diese Gemeinde ist ein so genannter „Missionspunkt“, das heißt, sie ist eine Außengemeinde einer Muttergemeinde, von der sie abhängig ist, weil sie sich allein finanziell nicht tragen kann. Sie kann nur die Miete für den Raum aufbringen, und das sind monatlich ungefähr 150 EUR. Zu dieser Gemeinde gehören inzwischen 40-50 Personen und etwa 20 Kinder. Die Arbeit begann vor 10 Jahren mit einer Familie, die Nachbarn sammelte. Das waren vor allem allein erziehende Mütter und Menschen ohne feste Arbeit. Aber die Menschen in der Gemeinde sind sehr engagiert, und das beweist uns Luz Mañna Russi, indem sie uns zwei Listen zeigt. „Auf der einen stehen alle die, die Blumendienst haben, auf der anderen diejenigen, die sich ums Putzen und den Kaffee kümmern. Das ist alles genau geregelt und läuft prima“, erklärt sie stolz. 
Jairo stellt das Gemeindeleben vor. Wöchentlich ist dienstags morgens eine Gebets- und Fastenzeit, donnerstags nachmittags Bibelstunde. Dazu kommen hauptsächlich Frauen. Samstags morgens findet Bibelunterricht für die Kinder statt, am Nachmittag für die Jugend. Sonntags wird um 8 Uhr Gottesdienst gefeiert. Außerdem kommt Donnerstagabend noch ein Ehrenamtlicher, der Musikunterricht gibt. Er bringt die Instrumente, Gitarre und Schlagzeug, selber mit. 
Wir sitzen mit den fünf Frauen und zwei Männern zusammen zu zwölft im Kreis. Die Fragen erstaunen. Nein, da bittet niemand um Geld, obwohl sie es so bitter nötig hätten. Jairo hat erzählt, dass ich einmal in Äthiopien gearbeitet habe, und nun wollen sie wissen, wie das geistliche Leben dort aussieht. Als ich erzähle, hören sie mit großem Interesse zu. Und sie wollen wissen, was die Menschen woanders in der Welt über Kolumbien denken.
Ich schaue nach vorne zum Altar. Da steht auf einem großen Plakat: „El Espiritu de Dios esta en este lugar – der Geist Gottes sei an diesem Ort“. Der Vers aus Matthäus 18,20 geht mir durch den Kopf: „Wo zwei oder versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“. Hier erlebe ich die Wirklichkeit dieses Wortes. 
Pastora Consuelo muss nun im Anschluss zu ihrer zweiten Gemeinde, denn in jeder hat sie nur eine 50%-Stelle, und diese zweite Gemeinde liegt am anderen Ende der Stadt. Sie heißt „Solo por fé – allein durch Glauben“. Ein guter Name für eine reformatorische Gemeinde. „Aber diese Gemeinde lebt auch allein aus Glauben“, meint Jairo fast etwas ironisch mit einem Hinweis auf die ganz geringen finanziellen Mittel, die ihr zur Verfügung stehen, und setzt seine Frau vor dem roten Backsteingebäude ab. - Vera Gast-Kellert

Mittwoch, 16. April 2014

„Der Glaube der Kogi ist in ihren Knien“ - Unvergessliche Begegnung im Kogi-Land - von Vera Gast-Kellert

Ein wichtiger Grund für den Abschluss unserer Reise in Kolumbien ist der Besuch des indigenen Kogi-Volkes. Seit praekolumbianischer Zeit leben sie in der Sierra Nevada bei Santa Marta nicht weit entfernt von der Karibikküste und der Grenze mit Venezuela. Wer im Netz nach den Kogi sucht, findet nicht viel und schon gar nichts darüber, dass eine Gruppe der Kogi Christen geworden sind. Dies geschah durch die Beziehung zu einigen Frauen, die als Wycliff-Bibelübersetzerinnen in das Gebiet der Kogi kamen und dort lange mitlebten. Teile des Neuen Testamentes in der Kogi-Sprache sind inzwischen ediert, und im Herbst 2014 soll das ganze Neue Testament in der Kogi-Sprache erscheinen, berichtet Pastor Carlos mit leuchtenden Augen. Er selber ist Kogi und an der weiteren Übersetzung der Bibel beteiligt. Aber die Wendung hin zum christlichen Glauben sollte für die Kogi schwerwiegende Folgen haben. Es war vor allem für die Regierungsvertreter der Kogi nicht vereinbar: Kogi bleiben und Christ sein. So wurden die christlichen Kogi von ihrem Land vertrieben. Mit Hilfe der Iglesia Evangelica Luterana de Colombia (IELCO), der Lutherischen Kirche in Kolumbien, gelang es, ein neues Stück Land in der Sierra Nevada für die Gemeinschaft zu erwerben. Es ist so, dass die IELCO diese indigene Gemeinschaft auf ihrem Weg begleitet. Im vergangenen Jahr war sogar eine Gruppe von 14 Jugendlichen aus der IELCO dort, die das sehr beeindruckt und verändert hat. Es ist ein wichtiger Teil der kirchlichen Mission der IELCO.
Was würde uns dort erwarten, fragen wir uns am Freitag, 11.4., als wir mit dem Flugzeug nach Santa Marta aufbrechen, begleitet von Pastor Atahualpa Hernández, dem Dekan der Theologischen Hochschule in Bogotá. Gott sei Dank spricht er gut Deutsch. In Santa Marta treffen wir dann Lizbeth, 2012/13 Stipendiatin des GAW in Leipzig, die jetzt aus Barranquilla zwei Stunden westlich von Santa Marta angereist ist. Für Atahualpa, oder kurz Ata, ist dies die vierte Reise zu den Kogi, für Lizbeth die zweite. 
Danach geht es eine Stunde weiter mit einem Bus nach La Revuelta, der Ort, der Umkehr heißt. Wer weiß warum? Hätten wir geahnt, wie mühsam der Weg zu den Kogi ist, vielleicht wären wir doch umgekehrt. 
Wir übernachten auf Pritschen in einem einfachen Haus, das wohl unter der Woche mit einigen Räumen als Schülerwohnhaus gilt. Jetzt ist niemand da. Erstens ist Wochenende, zweitens beginnt die „Semana Santa“, die Karwoche, und da sind Ferien. Am Samstagmorgen beginnt der Aufstieg. Er ist sehr schwierig und heiß und dauert fünf Stunden. Es geht steil bergauf. Zwischenzeitlich denke ich: Soll ich das weitermachen, aber dann siegt doch meine Entschlossenheit, die Kogi kennenzulernen, über den inneren Schweinehund, und als wir oben sind, bin ich froh. Lizbeth und Ata haben gut für die Verpflegung gesorgt und in La Revuelta eingekauft. Glücklicherweise müssen wir aber auch unsere auf das Allernotwendigste beschränkten Rucksäcke, die zwei Hängematten für Lizbeth und Ata und die Nahrungsmittel nicht tragen. Das besorgen zwei Maultiere. Unsere Unterkunft ist im Haus von Pfarrer Carlos. Es ist ein einfacher Bretterbau, ebenso sind die Betten Pritschen. In der ersten Nacht bricht Olafs Pritsche durch. 
Am Nachmittag macht Ata eine Stunde mit den Frauen - unglaublich gut. Zuerst wird gesungen, und wir identifizieren wenigstens ein Lied: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht“. Sie haben sehr große Freude, als wir es zuerst auf Deutsch und dann gemeinsam singen. Inhaltlich geht es dann um die Mochilas, das sind die Taschen, die jeder Kogi immer bei sich trägt und die die Frauen selber herstellen. Jede der Frauen hat ihre Handarbeit, eben die Mochila, dabei. Sie zeigen mir die wichtigen Stiche und vertrauen mir auch ein Stück Handarbeit an. Ich bekomme Applaus, auch wenn ich, wie sie mit Recht feststellen, keine Kogi bin! Anhand der Mochila erzählen sie über ihr Leben, vor allem über ihr Leben als Christen. Ja, die Mochilas der christlichen Kogi sind bunter, sagen sie, ihr Leben ist fröhlicher als das der traditionellen Frauen. Und sie arbeiten mit den Männern zusammen. Die Männer bauen den Grundstoff, der aus einer Pflanze gewonnen wird, an, die Frauen verarbeiten weiter. Überhaupt wird immer wieder betont, dass die Männer den Frauen helfen im Haushalt und bei der Kindererziehung. „Das unterscheidet die christlichen Kogi von den traditionellen“. 
Um 18.30 Uhr gehen wir zu Bett, oder besser zur Pritsche! Es ist nämlich stockfinster, und es gibt keinen Strom. Das Kogi-Leben kommt zur Ruhe. Nur noch Vogelstimmen sind ab und zu hören, die richtige Melodien pfeifen. 
Am nächsten Tag ist Sonntag, der Gottesdienst fängt um 8 Uhr morgens an, wieder sehr bewegend. Er beginnt mit einem langen Singen. Dann gehen die Kinder zum Kindergottesdienst hinauf zur Schule. Vorher gibt es eine Kollekte, die so aussieht, dass jeder Naturalien in eine Kiste legt. Wir beteiligen uns mit einigen Pfund Reis. Ich nehme bei der zweiten Hälfte am Kindergottesdienst teil, den Lizbeth hält. Sie wird ab Juni 2014 für eine Zeit, erst einmal ein Jahr, dort leben – bewundernswert - und vor allem in der Schule auch Spanisch unterrichten und sich um die Frauen kümmern. Der Vertrag wird in diesen Tagen dort oben abgesprochen und festgelegt. 
Am Nachmittag gibt es wieder ein spontanes Treffen in der Kirche, einem ganz einfachen Haus aus Stein mit Lehmfußboden und Wellblechdach. Es geht um Frauen in der Bibel. Immer wird ein sehr enger Bezug zu den Kogi gezogen, und die Kogis beteiligen sich erstaunlich lebhaft, gerade auch die Frauen. Das macht Lizbeth sehr geschickt. Noch spricht sie selbst kein Kogi und wird von einer der wenigen Spanisch sprechenden Frauen übersetzt. 
Im anschließenden Gespräch mit Pastor Carlos betont er engagiert seine vorrangigen Ziele: das ist zuerst die Bibelübersetzung. Er arbeitet zusammen mit anderem am Alten Testament. Bei der Bibelübersetzung in die eigene Sprache ist es bedeutsam zu vermitteln: das ist kein fremder Gott, sondern unser Gott! Weitere Ziele sind die Bildung und die Gesundheit. Die sind in besonderer Weise wichtig aber auch ein Problem für die christlichen Kogi, weil die Regierung sie nicht in ihrer Identität anerkennt.
Am Abend liegen wir dann wieder um 18.30 Uhr auf unseren Pritschen. Der Abstieg am Montagmorgen beginnt um 6 Uhr, allerdings müssen unsere kleinen Rucksäcke schon um 5 Uhr gepackt sein, weil sie wieder von Mauleseln heruntergebracht werden - Gott sei Dank, anders hätten wir es kaum geschafft. Wir hatten gedacht, der Abstieg sei gegenüber dem Aufstieg ein Kinderspiel, aber mitnichten. Eigentlich ist er sogar schwieriger. Der Weg ist steil und sandig, mit riesigen Felsbrocken, wir rutschen und fallen, allerdings ohne nennenswerte Schäden, von ein paar blutigen Schrammen abgesehen. So dauert der Abstieg vier Stunden. Die Kogis machen das in 25 Minuten! Im Rückblick erscheint mir die Reise zu den Deni im Amazonasgebiet in Brasilien vor vier Jahren eine 3-Sterne-Kreuzfahrt gegenüber dem Aufstieg ins Kogi-Land. „Der Glaube der Kogis ist in ihren Knien“, sagt der guatemalische Theologe Antonio Otzoy. Ja, da ist meiner wohl – noch – nicht. Aber vielleicht ist er auf diesem Weg ein Stück in diese Richtung gerutscht und näher am Herzen! - Vera Gast-Kellert, Leiterin der Frauenarbeit

Dienstag, 15. April 2014

DIO È AMORE – Dios es amor - Gott ist Liebe - God is love (Ostergruß aus dem GAW)

DIO È AMORE – Dios es amor - Gott ist Liebe - God is love
(1. Johannes / Juan / John  4,16b)

Drei Worte „Gott ist Liebe“ stehen geschrieben in der Kuppel des Altarraumes der Waldenserkirche in Brescia/Italien. Unterhalb dieser Worte - das Kreuz. Kreuz und Liebe gehören zusammen. Karfreitag und Ostern sind nicht voneinander zu trennen. Die Liebe hält es zusammen – Gott ist es, der alles zusammenhält. Gott sagt JA zu Jesus. Er sagt JA zum Weg der Liebe. Deshalb: Wer liebt, der gibt niemanden auf. Das ist der Geist von Ostern. Dazu werden wir ermutigt! Im Namen des Vorstandes des GAW und unseres Präsidenten Dr. Hüffmeier wünsche ich allen Freunden des GAW ein gesegnetes Osterfest!
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Estas tres palabras "Dios es amor" se encuentran en la cúpula del santuario de la Iglesia Valdense en Brescia / Italia. Por debajo de estas palabras - la cruz. La cruz y el amor pertenecen juntos. Viernes Santo y Pascua de Resurrección son inseparables. El amor los mantiene unidos - Dios es el que mantiene todo unido. Dios dice SI a Jesús. Él dice SI a la senda del amor. Por lo tanto, cualquier persona que ama, no da por perdido a nadie. Este es el espíritu de Pascua de Resurrección. A esto nos anima el mensaje de Pascua. En nombre de la junta directiva de la Obra Gustavo Adolfo y su presidente Dr. Hüffmeier les deseo a todos una bendecida fiesta de Pascua de Resurrección!
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„God is love“ - these three words are written in the dome of the sanctuary of the Waldensian Church in Brescia/Italy. Beneath these words: the cross. Cross and love belong together. Good Friday and Easter are indivisible. They are bound together by love – it is God who keeps everything bound together. God says YES to Jesus Christ. He says YES to the way of love. Therefore: Who gives love, will not abandon anyone. This is the spirit of Easter. We are encouraged to do so. On behalf of the Board of the GAW and our President Dr. Wilhelm Hüffmeier I wish all friends of the GAW a blessed Easter. 

Pastor Enno Haaks GAW Generalsekretär / Secretario General de la OGA / General Secretary of the GAW

Montag, 14. April 2014

Feuersbrunst in Valparaiso / Chile

Die schlimmste Feuersbrunst, die die Hafenstadt Valparaiso/Chile je erlebt hat, hat schon über 16 Todesopfer gekostet. Die Regierung arbeitet intensiv, um der Katastrophe Herr zu werden. Auch die lutherische Gemeinde, die selbst nicht zu Schaden kam, versucht zu helfen.  "Liebe Freunde, ich danke euch für eure Gebete und eure Hilfen!" schreibt Pastor Rodolfo Obermüller. "Die Situation hier ist wirklich schrecklich. Die Feuer sind noch nicht komplett gelöscht. Wir organisieren Spenden für die Bedürftigen, sammeln Kleidung, Lebensmittel, Reinigungsmittel- und Geldspenden." Inzwischen sind alle lutherischen Gemeinden beider lutherischen Kirchen dabei, den Opfern der Brandkatastrophe beizustehen. Die Solidarität ist enorm. Pastorin Hanna Schramm organisiert die Sammlung in der Erlöserkirche in Santiago mit und wird sich um den Hilfstransport mit kümmern. 
Wir denken im GAW an die Opfer und beten sowohl für sie als auch für die Helfer!

Samstag, 12. April 2014

Dem Himmel ein Stück näher - von Vera Gast-Kellert

Seit gestern Abend (Donnerstag, 10.4.) sind wir hier in Bogota! Eine zwölfstündige Nachtbusfahrt von Florianopis nach Sao Paulo, 7 Stunden am Flughafen dort und weitere 6 Stunden Flug brachten uns ans letzte Ziel unserer Lateinamerikareise. Hier drehten wir zum ersten Mal die Uhr zwei Stunden zurück, denn tatsächlich war von Santiago/ Chile über Buenos Aires und Montevideo bis nach Brasilien immer die gleiche Zeit. Hier nun
gehen die Uhren anders, auch temperaturmäßig. Denn von über 30 Grad Hitze wurden wir hier gestern von einer erfrischenden Kühle empfangen: 14 Grad, gab der Pilot vor der Landung bekannt. Und dazu weht ein kräftiger Wind.
Hier haben wir in der Casa Emmaus, die der Iglesia Evangelica Luterana  em Colombia (IELCO) gehört eine wunderbare Unterkunft und wurden von Atahualpa am Flughafen herzlich empfangen. So fühlen wir uns schon wieder Zuhause, ja in der luftigen Höhe Bogotas dem Himmel ein ganzes Stück näher.
Heute Morgen haben wir ein Gespräch mit Ata, wie Athualpa genannt wird, Andres,für die Menschenrechtsarbeit der Kirche verantwortlich und Stella von der Stiftung Emmaus. Wir erfahren Wichtiges über die Gemeinschaft der Kogui, die wir gleich besuchen. Die Kogui-Gemeinschaft hat sich gespalten in eine traditionelle und eine christliche, die durch die Arbeit von zwei Frauen der Wycliff-Bibelübersetzer entstandene ist. Nun hat die IELCO in einem langen Prozess wein Begleitprogramm entwickelt, das sehr spannend ist. Lizbeth, die vor drei Wochen zur Pfarrerin ordiniert worden ist und als Stipendiatin ein Jahr in Leipzig ist, soll die christliche Kogui-Gemeinschaft begleiten. Bewusst wird diese Gemeinschaft nicht „lutherisch“ genannt, um damit keine konfessionelle Spaltung vorzubereiten. So sind wir gespannt und sicher, dass diese Begegnung für uns auch eine Emmaus-Erfahrung wird. - Vera Gast-Kellert

Freitag, 11. April 2014

Diaspora und missionarische Herausforderungen

Martin Junge (rechts), Bischof Martinez (IELCO; 3. v.l.)
Wie können Diasporakirchen missionarische Kirchen sein? Wie können sie dem Missionsauftrag Jesu "gehet hin in alle Welt" Raum geben trotz der Kleinheit? Damit beschäftigte sich eine Konferenz des Lutherischen Weltbundes in Finnland, auf der auch zahlreiche lutherische Partner des GAW aus Lateinamerika teilnahmen. Auf jeden Fall bedeutet das, nach außen zu zeigen, was man innen glaubt. das betonte der Generalsekretär des LWB Martin Junge: „Die öffentliche Dimension der Kirche zu verstehen bedeutet, ihre Rolle als „Bürgerin“ im lokalen, nationalen und globalen Kontext zu erkennen. Es zeigt uns Wege, wie wir die Menschen in der Kirchenbank erreichen können“, erklärte Junge.„Das Kreuz Christi erinnert uns an diese prophetische Dimension“. Und er fährt fort: „Im Selbstverständnis vieler Menschen ist der christliche Glaube immer noch eine strikt private, sehr persönliche Angelegenheit“, sagte Junge und stellt die Frage: „Wie relevant kann eine solche Kirche sein? Insbesondere im europäischen Kontext trifft man immer noch auf eine zögerliche Haltung und eine problematische Einstellung zum Konzept der Mission, und oft auch eine Abneigung gegen die Missionsarbeit selbst."
In vielen Partnerkirchen des GAW geht man mit dem Missionsbegriff freier und offenere um. Man betont, dass man missionarische Kirche sein muss, um zu überleben. So wird dann auch das vielfältige diakonische Engagement verstanden, das viele Partnerkirchen des GAW auszeichnet. Es ist missionarisch und prophetisch. Zu nennen sind auch zahlreiche Missionskonzepte der Kirchen, wie z.B. der lutherischen Kirche in Brasilien. Hier können wir selbst eine menge lernen. Vor allen Dingen müssen wir lernen und dafür einstehen auch gegen jeden agressiven Atheismus, dass Glauben keine private Angelegenheit ist. Glauben ist eine existentielle Frage. Sie betrifft die gesamte Existenz. Es geht darum, was trägt, was Sinn macht, was Halt gibt und wofür es lohnt, sich einzusetzen. 

Donnerstag, 10. April 2014

Was wollen wir mit dem GAW? - 7. April 1844

"Die Gründung des GAW 1832 in Leipzig und dann 1842 und 1843 in Leipzig und Frankfurt sind in der christlichen Kirche bedeutungsvoll," schreibt am 7. April 1844 Dekan Keim aus Hachenburg im "Boten des evangelischen Vereins der Gustav-Adolf-Stiftung. "Dieser Verein ist seit fast 300 Jahren das erste große Lebenszeichen unserer Kirche und zeigt, dass in unserer Kirche eine Lebenskraft steckt...." Und er fährt fort und fragt: "Was wollen wir mit dem GAW erreichen?" Er beginnt, zu sagen, was das GAW  nicht will:
"1. Wir wollen andere christliche Kirchen und deren Glaubensgenossen in ihrem religiösen Leben nicht verkürzen. Wir wollen nichts tun gegen irgendein Christenvolk!...
2. Wir wollen mit unserem evangelischen Verein auch andere Kirchen und ihre Angehörigen nicht verunehren. Wir wollen nicht lästernd auftreten....
3. Wir wollen auch nicht den inneren und äußeren Frieden anderer Kirchen und ihrer Mitglieder stören. Wir wollen im Geiste des Evangeliums handeln und nichts tun, was dem Evangelium zuwider steht...
Wir aber wollen im GAW
1. die in der Zerstreuung lebenden evangelischen Glaubensgeschwister zu einem Ganzen in Christo sammeln... Wir wollen verbinden!... Wir wollen die evangelische Diaspora nicht vergessen!...
2. Außerdem wollen wir zugleich die Mitglieder der evangelischen Kirche inniger und fester miteinander vereinigen in dem Bewusstsein: wir sind Eins!... In dem Werke Gottes stehen wir, Alle für Einen und Einer für Alle!... So soll unser evangelischer Verein in der evangelischen Kirche leuchten, wie ein Licht, nach dem alle schauen, wie ein Licht, das aller Wege gesehen wird...
3. So wollen wir das Reich Gottes auf Erden ausbauen,... denn das Reich Gottes besteht nicht allein in Worten, sondern in der Tat!"
Vor 170 Jahren gesprochen - vieles ist auch heute noch nachbuchstabierbar! 

Dienstag, 8. April 2014

Evangelische Diaspora in den Andenstaaten - neues Themenbuch des GAW erschienen!!!

Das neue GAW-Themenbuch
Das neue Themenbuch des GAW ist da und ab sofort lieferbar!!! Es stellt die GAW-Partnerkirchen in der Andenregion vor: Chile, Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien. Dabei wird insbesondere auch auf den ökumenischen Kontext geschaut. Beatrice del Campo (Mitarbeiterin des LWB/ACT Allianz) beschreibt beispielsweise den aktuellen Friedensprozess in Kolumbien und die Rolle der Kirchen darin. Über die indigene lutherische Kirche in Bolivien berichten gemeinsam Kirchenpräsident Emilio Aslla Flores und Pfarrerin Marianne Wagner (Pfalz).
Die Lateinamerikareferentin im Lutherischen Weltbund Patricia Cuyatti gibt einen Einblick in die Entstehung und die aktuellen Herausforderung der peruanischen lutherischen Kirche.
In Chile wird die jüngere Geschichte der beiden lutherischen Kirchen nach dem Militärputsch 1974 durch Pfarrerin Hanna Schramm und OKR em. Pfarrer Branko Nikolitsch beleuchtet.
Daneben widmen sich verschiedene Artikel dem "Pentekostalismus" (Pfingstbewegung) und der katholischen Kirche in Lateinamerika am Beispiel Perus, der Einführung des Reformationstages in Chile, der theologischen Ausbildung in Lateinamerika, der Theologie der Befreiung, einer Meditation über ein „bolivianisches Hungertuch“ und der sog. „andinen Theologie“.
Eine lohnende Lektüre für alle die, die sich mit Lateinamerika beschäftigen, Partnerschaften dorthin haben und deren Herz für diesen spannenden Kontinent schlägt.
Per Mail kann das Buch bestellt werden unter: verlag@gustav-adolf-werk.de

Montag, 7. April 2014

GAW-Stipendiaten berichten von ihren Erfahrungen im Gemeindepraktikum

Das erste Semester liegt hinter unseren Stipendiaten. In den Semesterferien haben sie in unterschiedlichen evangelischen Gemeinden über ganz Deutschland verteilt ihr vierwöchiges Gemeindepraktikum, Teil des GAW-Stipendiums, absolviert. Sie waren in Bergisch-Gladbach, Bielefeld, Bad Bentheim, Berlin / Neu-Köln, Wilhelmshaven, in Württemberg oder Thüringen.
Erfüllt berichteten sie von ihren Erfahrungen, besonderen Erlebnissen, kulturellen Besonderheiten. Wir hatten den Eindruck, dass diese vier Wochen einen prägenden und bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Und ebenso haben alle auf eine wunderbare Weise Werbung für das GAW machen können.
Nun beginnt das Sommersemester! Allen unseren GAW-Stipis wünschen wir dafür viel Kraft und Gottes Segen!!!
Informationen über unser Stipendiatenprogramm findet man hier:

Sonntag, 6. April 2014

„Wenn dich dein Kind fragt….“ Begegnungen in Ernestina - von Vera Gast-Kellert

Die „Direitoria“ der „Paróquia“ Ernestina, das ist so etwas wie der Rat der Gesamtgemeinde Ernestina, trifft sich am Donnerstagabend und hat uns danach zu einer „Janta“, einem Imbiss, eingeladen. Für Martin ist das so etwas wie ein Nachhause Kommen, war er doch hier von 1969 bis 1974 Pfarrer und erinnert sich gerne an diese Zeit. Immer noch treffen wir Menschen, die gleich sagen: „Aber Pfarrer, ihr habt mich doch damals konfirmiert!“ Und dann geht es los mit den Erinnerungen. „Was macht der, lebt die noch?“ Damals hieß Ernestina noch „Villa Ernestina“, Dorf Ernestina. Heute ist es ein Munizipium und hat das „Villa“ stolz hinter sich gelassen.
Die Fragen, die sie dieses Mal auf dem Herzen haben, erstaunen uns nicht wenig. „Pfarrer, was wisst ihr über die Anfänge der kleinen Außengemeinden, zum Beispiel von Poligono do Erval und Posse Gonçalves? Die Geschichte von Ernestina haben wir ja ganz gut dokumentiert, besonders auch in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum 2009. Aber für die Außengemeinden fehlen weitgehend die Unterlagen“. Wir hatten uns schon die weit verstreuten kleinen Kirchen der Gesamtgemeinde Ernestina angesehen, immerhin ein Gebiet, das einem größeren ländlichen Kirchenkreis in einer deutschen Landeskirche gleichkommt. Im Ganzen sind es das neun Gemeinden!
Seit jenen lange zurück liegenden 70er Jahren hat sich sehr viel geändert. Damals waren die meisten Straßen nicht asphaltiert und die Wege zu den Gemeinden, zu den Gottesdiensten, zum Konfirmandenunterricht und den Beerdigungen, die innerhalb von 24 Stunden stattfinden mussten, besonders bei Regen lang und beschwerlich. Da ist manches heute leichter, aber die Vielzahl der weit auseinander liegenden Gemeinden ist geblieben. 
Ja, was soll Martin auf die Frage antworten? Er zuckt die Achseln. Die Leute in den Gemeinden hatten damals andere Sorgen, als alles aufzuschreiben. Das ist schade, aber der Kampf ums tägliche Brot und das Leben „auf der Kolonie“, das heißt auf dem Lande, war hart. Der Vorsitzende des Gemeinderates, Casimiro Selig, berichtet, dass es zwar einiges Schriftliche gibt, aber in alter deutscher Schrift. Und damit kann sowieso niemand etwas anfangen. Aber sie würden doch so gerne mehr über die Vergangenheit wissen und der nachfolgenden Generation hinterlassen. Alles, was wir anbieten können, ist, beim Entziffern von Testen behilflich zu sein. Es ist schon interessant, dass man jetzt, wo das alltägliche Leben wirtschaftlich stabil ist, beginnt, nach der Vergangenheit, den Wurzeln und Anfängen zu fragen, ähnlich wie die Israeliten, die ihre Geschichte in der Zeit Davids aufschrieben, als sie sesshaft und gesichert lebten.
Und dann kommt Pastor Jonas Ronei Gunsch, der seit drei Jahren in Ernestina ist, noch mit einer überraschenden Frage. „Mein Urgroßvater Martin Gunsch und seine Frau Katharina kamen 1911 aus Russland, aus Wolhynien, nach Brasilien. Darüber kann ich nichts herausfinden, aber ich würde gerne mehr darüber wissen“. Wir lachen. Ja, Wolhynien in der heutigen Ukraine, klar, das kennen wir doch, da wurde doch auch Martins Vater geboren. Da sind wir schon gewesen. Wir berichten, wo das liegt, und das es im Internet ein Wolhynienforum gibt, wo Fragen gestellt werden können. Wir versprechen, da zu recherchieren. Dann bringt Pastor Jonas, wie es hier allgemein heißt, ein paar Schätze: zwei alte Fünf-Rubel-Scheine mit Doppeladler aus dem Jahr 1909 und ein kleines Notizbuch, in das Urgroßvater Martin Gunsch in den 20er Jahren alle seine Ausgaben fein säuberlich notiert hat, aber schon auf Portugiesisch! Wieder erleben wir, wie viele Menschen aus Russland hier in Südamerika eine Heimat gesucht haben und im Fall von Martin Gunsch schon vor dem 1. Weltkrieg und vor der Russischen Revolution. Damals verließen sie ihre Heimat ohne die Erwartung, sie je wieder zu sehen. Heute sind wir im Netz verbunden, aber auch durch die vielen Begegnungen. Und das wird mir an diesem Abend deutlich – durch die Spuren, die wir hinterlassen. - Vera Gast-Kellert, Vorsitzende der Frauenarbeit im GAW


Freitag, 4. April 2014

Im Land der Sojabohnen - von Vera Gast-Kellert



Die Landstraßen gehören zurzeit den „Caminhões“, den Lastwagen. Vollbeladen brettern sie mit beträchtlicher Geschwindigkeit über den Asphalt. Für PKWs ist es eine  Geduldsprobe, einen nachdem anderen zu überholen oder dahinter zu bleiben. „Es ist die Zeit der Sojaernte. Sie fahren entweder in die Ölpresse oder zur Kooperative oder gleich zum Hafen nach Rio Grande südlich von Porto Alegre, um ihre Ernte abzugeben“, klärt uns Harti auf und versucht zum dritten Mal erfolglos, an zwei dieser schweren Wagen vorbeizukommen. „Dieses Gebiet um Passo Fundo etwa 300 km nordwestlich von Porto Alegre im Bundesstaat Rio Grande do Sul lebt hauptsächlich vom Sojaanbau. Zwar wird im Winter, das heißt jetzt bald, auf den riesigen Feldern meist Weizen gesät, aber das wichtigste Produkt ist Soja“.
Wir besuchen Hartis Mann Adelar bei der Ernte, um uns einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Zusammen mit seinem Bruder und Vater bewirtschaften sie etwa 150 ha Land. „Alles Soja“, zeigt uns Adelar mit einer Armbewegung über die Felder und wendet sich dann wieder besorgt seiner riesigen Erntemaschine zu, die er versucht zu reparieren. Ein Schneidemesser ist kaputt gegangen. Das kostet ihn schließlich zwei Tage bei der Erntezeit. Meist übernimmt er die Reparaturen selbst, aber dieses Mal gelingt das nicht.
Ihre Ernte beträgt durchschnittlich 420 000 kg Soja im Jahr, erfahren wir, an einem Tag erntet er 600 bis 700 kg, heute allerdings nicht. „Drei Familien können davon gut leben“, meint Hart, allerdings hat sie ihr Gehalt als Juristin und der Schwiegervater seine Rente. Die Familie des Schwagers lebt ganz von der Landwirtschaft. „Ja, der Soja ist genverändert“, bestätigt Adelar. „Das bringt viele Vorteile, vor allem müssen wir weniger Gift spritzen“. Die möglichen Langzeitfolgen sind allerdings noch nicht bekannt, das gibt er auch zu. Offenen Protest dagegen scheint es in großem Maßstab nicht zu geben. Gelegentlich findet wir ein Graffiti: „Não aos Trangênicos“ (Keine genbehandelten Produkte), aber das ist leicht zu übersehen.
Auch Adelar bringt seine Soja in die Kooperative, die für ihn verkauft. Die größten Abnehmerländer sind China und die USA, die USA vor allem auch, um den Preis zu bestimmen. Zurzeit ist der Preis stabil, aber, so habe ich gerade in der „Correio do Povo“, der Tageszeitung aus Porto Alegre gelesen, die Landesdeputiertenkammer hat ein Gesetz zur hohen Besteuerung (über 9 %) von Soja verabschiedet. Adelar bestätigt das. „Ja, das werden wir Anbauer zahlen müssen“: Auch die Anschaffung und Wartung der großen Maschinen verschlingt eine Menge Geld. Allerdings braucht man heute zum Sojaanbau nicht mehr viele Arbeitskräfte. Adelar hat jetzt nur einen weiteren Mann dabei, der die Erntemaschine dahingehend bedient, dass die Sojabohnen gleich auf den Lastwagen verladen werden.
Wie es allerdings für ihn und seine Familie mit dem Sojaanbau weitergehen wird, ist unklar. Mein Mann Martin, der Anfang der 1970er Jahre in diesem Gebiet Pfarrer war, erinnert sich sehr genau, wie die Bauern, die eine Mischwirtschaft betrieben, auf Soja und Weizen umgestellt haben. Das war auch bei Adelars Vater so. „Du kannst heute nur noch eine Sache machen“, erklärt Adelar. Tiere haben sie gar nicht mehr. Dadurch sind die Bauern auch weniger ans Haus und ans Land gebunden, können sogar wie Adelar in der Stadt wohnen. Klar ist, dass seine beiden Töchter und auch die zukünftigen Schwiegersöhne beruflich andere Wege gehen. Das ist auch bei seinem Bruder so. Das wird wieder große Veränderungen bringen.
Einmal war die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB) eine Kirche vornehmlich der ländlichen Bevölkerung. Dazu waren die in Deutschland verarmten Bauern ja auch ins Land gerufen worden. In dieser Gegend hat der Sojaanbau viele wohlhabend gemacht. Die Verarmten auf der Schattenseite sind weiter gezogen. Klar scheint, dass die nächste Generation in der Stadt leben wird. Dabei erinnere ich mich wieder an das Gespräch mit dem Kirchenpräsidenten der EKLBB, Dr. Nestor Friedrich, in dem er sagte: “Das Thema der Stadt beschäftigt uns zunehmend.“ -
Vera Gast-Kellert, Leiterin der GAW-Frauenarbeit