Freitag, 30. Oktober 2015

Igreja da Palavra – Kirche des Wortes (Brasilien)



Dieses Thema hat die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB) als Jahresthema 2015 gewählt. Auf allen Publikationen, in allen Kirchen und Gemeindehäusern ist das Bild zu sehen: ein Weg, der seinen Ausgang nimmt in der aufgeschlagenen Bibel neben Brot und Wein. Auf ihm bewegen sich unterschiedliche Menschen – allein, als Paar oder Familie, Junge, Ältere, Kinder oder auch im Rollstuhl. Ihnen allen gilt die Frage Jesu an die Emmausjünger aus Lukas 24,17: „Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr zwischen euch handelt unterwegs?"

Wer die Straßen Brasiliens kennt, weiß, dass sie anders aussehen als auf diesem Poster: aneinandergereihte lange Lastwagen auf den Überlandstraßen, dichtes Gewühl in den Städten. Vor diesem Hintergrund liest sich der Untertitel „chamad@s para commincar“ (@ufgerufen zur Kommunikation) ganz anders. Er macht auch optisch deutlich, dass moderne Kommunikationsmittel eine große Rolle spielen.
„In unsere Kommunikation miteinander geht es um Worte, aber auch um Zuhören und um Gesten. Gesten sagen oft mehr als die Worte“, heißt es in einer Erklärung zum Jahresthema. „Das Wort, das wir als Kirche mitteilen, ist nicht irgendein Wort. Es ist das Wort Gottes, das in Jesus Christus als ein Wort der Befreiung in die Welt kommt, ein Wort, das zum Leben ermutigt.“
„Unser gespaltenes Land, das sich in einer tiefen Krise befindet, braucht dieses Wort sehr dringend“, glaubt der Präsident der EKLBB, Pastor Nestor Friedrich. „Unsere Gesellschaft ist sehr stark polarisiert, und wir sehen unsere Aufgabe darin, als Kirche andere Wege zu weisen und zu gehen: Wege des Miteinanders und nicht die der Polarisierung.“


Nestor Friedrich zeigt auf, wie er den Weg der Kirche in den nächsten Jahren sieht. Als erstes nennt er die Begleitung der Studenten und Studentinnen sowie der Vikare und Vikarinnen an den drei theologischen Ausbildungsstätten und. Dadurch soll die Verbindung mit der Kirche von Anbeginn des Studiums gestärkt werden. Ebenso sollen auch die Pfarrer und Pfarrerinnen intensiv in ihrer Arbeit begleitet werden. Dann ist die Weiterbildung der Laien vor allem auch aus den Kirchenvorständen eine wichtige Aufgabe. „Angesichts der vielen Kirchen auf dem religiösen Markt in Brasilien müssen wir an diese Aufgabe heute sehr professionell herangehen“, betont Friedrich. „Nicht zuletzt muss auch die Kommunikation untereinander und unter den einzelnen Gemeinden intensiviert werden. Die große missionarische und diakonische Arbeit, die an vielen Stellen in unseren Gemeinden gemacht wird, und auch die ökumenische Vernetzung müssen in eine Gesamtschau und in Kommunikation miteinander gebracht werden.“ Es sind große Aufgaben, an die Nestor Friedrich in den drei vor ihm liegenden Jahren seiner Präsidentschaft mit viel Engagement und Freude herangehen will. Und er will sie im ständigen Gespräch mit den Verantwortlichen und mit den Gemeinden umsetzen.
Vera Gast-Kellert, ehemalige Leiterin der GAW-Frauenarbeit

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Ein Brief aus dem Flüchtlingscamp in Idomeni, Griechenland

Am 11. November ist Martinstag. Das GAW bittet mit seinem Entwurf für einen Martinsgottesdienst um Spenden für die Flüchtlingsarbeit der GAW-Partnerkirchen, die entlang der Balkan-Flüchtlingsroute humanitäre Hilfe leisten.
Erst heute erreichte uns wieder ein Brief einer dieser Kirchen - aus Griechenland. Lydia Kaloteraki hilft, die Flüchtlingsarbeit der Griechisch-Evangelischen Kirche zu koordinieren. Sie schreibt aus Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze, wo seit Monaten jeden Tag tausende Flüchtlinge darauf warten, nach Mittel- und Nordeuropa weiterziehen zu können:
"Das Camp in Idomeni wird inzwischen von verschiedenen Organisationen wie der UNHCR, Ärzte ohne Grenzen und griechischen NGOs organisiert. Die Griechisch-Evangelische Kirche unterstützt die Arbeit im Camp. Jede Woche verteilen Helfer aus unseren Gemeinden 2 000 Sandwiches. Wir geben den Menschen Wasser, Obst und andere Lebensmittel, verteilen Tee, heißen Kakao und Saft. Langsam kommt der Winter und die Menschen erhalten von uns nun auch Regenkleidung, Mützen, Handschuhe und Taschenlampen.
Freiwillige aus einer unserer Gemeinden haben einen Stützpunkt eingerichtet, an dem Menschen Akkus ihrer Handys kostenlos aufladen können und kostenlosen Zugang zum Internet haben. Die Hilfe, die die Griechisch-Evangelische Kirche in Idomeni leistet, ist zu einer wichtigen Stütze für die Organisatoren des Camps geworden. Wir arbeiten vertrauensvoll mit ihnen und mit den lokalen Behörden zusammen."
Bereits im Februar 2015 (!), lange bevor die europäische und auch die griechische Öffentlichkeit wahrnahmen, was sich in Idomeni abspielt, haben Helfer der Kirche Idomeni besucht und begonnen Hilfe zu leisten: "Es begann damit, dass wir den Platz säuberten, damit die Flüchtlinge nicht im Müll schlafen mussten. Außerdem haben wir Wasser und Sandwiches verteilt."

Die Reformation strahlte in die ganze Welt

Ev. Kirche (rechts im Bild) in Aleppo / Syrien wird wieder
aufgebaut
Die Kirchen aus der reformatorischen Tradition haben der Welt etwas zu sagen. Das Themenjahr vor dem großen Reformationsjubiläum 2017 hat das wunderbare Leitwort „Reformation und die EINE Welt“. Es geht darum, sich im evangelischen Glauben in der EINEN Welt verbunden zu wissen. Wir zeigen, dass es eine evangelische weltweite Solidarität und Verbundenheit gibt. Es gibt ein gegenseitiges aufeinander Hören und voneinander Lernen.
Das ist derzeit in der Flüchtlingskrise zu erleben. Evangelische Christen setzen sich ein für die, die ohne Heimat sind - in Syrien und in den Ländern entlang der sog. „Balkanroute“. Die vielen evangelischen Christen leben das, was Luther sagt: „ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus und in seinem Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.“ 
Gerade jetzt kann man lernen: Wir leben nicht für unsere kleine Welt. Wir leben in der EINEN Welt. Und in der gibt es evangelische Christen. Sie brauchen unsere Solidarität. Aber auch wir brauchen sie. Denn: Wenn es uns in Sachsen wichtig ist, evangelisch zu leben, dann kann es uns nicht egal sein, wie es evangelischen Schwestern und Brüdern in Chile, Venezuela, Kuba, Spanien, Griechenland, Sibirien, Kirgistan oder Syrien geht. Ihre Hoffnung und ihre Sorgen sind unsere Hoffnungen und unsere Sorgen. Sie sind unsere „Glaubensgenossen“ (Galater 6,10), an denen wir Gutes tun sollen. Das fordert der Glaube, der aus dem Evangelium lebt.
In der weltweiten evangelischen Diaspora leben unsere Schwestern und Brüder mehrheitlich als religiöse Minderheiten. Manchmal fühlen sie sich am Rande der Gesellschaft. Oft genug erleben wir uns inzwischen in Deutschland ebenso am Rande der Gesellschaft. In der Stadt Luthers gibt es nur noch 10 % evangelische Christen. In Leipzig sind es 12 %. Das ist noch eine beträchtliche Zahl. In Chile gibt es lediglich 13.000 lutherische Christen. In Kirgistan sind es ungefähr 400. 
Wie viele von den ehemals ca. 40.000 evangelischen Christen noch in Syrien leben wissen wir nicht. Es gibt sie aber noch. Und selbst dort im Bürgerkrieg haben sie eine Mission und wollen zeigen, dass der evangelische Glaube in die Welt hinein wirkt und sich einsetzt. In Aleppo haben sowohl die armenisch als auch die arabisch reformierte Kirchengemeinde Brunnen gebohrt und versorgen die Nachbarschaft mit sauberem Wasser. Zudem leisten sie Nothilfe, Medizinhilfe – und immer noch funktionieren ihre Schulen. Welch eine Kraft ist das, die aus dem Glauben kommt, um sich in der Welt zu zeigen, da zu sein und zu dienen.
Das kann auch ein Beispiel für das sein, was die letzte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Busan mit dem Begriff „Mission von den Rändern“ beschrieben hat. In all den Diasporakirchen, die sich oft an den Rändern erleben, wird der evangelische Glaube gelebt und ist lebendig. Ansteckend ist es, in einer chilenisch lutherischen Armengemeinde einen Gottesdienst mitzufeiern. Hier erlebt man, wie aus dem lebendigen Gottesdient mit den wunderbaren Liedern Kraft in den oft tristen Alltag strömt. Wie ist das bei uns? Ist es das auch für uns? 
Wie können wir zeigen, dass wir als Diaspoarkirchen in Sachsen eine lebendige Diaspora mit einer Mission sind? Wo ist unsere Stimme gefordert, einzustehen für die, die unter die Räder gekommen sind? Wo und wie ist unser Dienst gefordert, wenn Menschen, die alles verloren haben, nach Beheimatung suchen? Wir haben eine Mission als Diasporakirchen, um von der Lebendigkeit und dem Gottvertrauen evangelischen Glaubens in der EINEN Welt etwas zu zeigen.

Enno Haaks ist Generalsekretär des Gustav-Adolf-Werkes mit Sitz in Leipzig - der Text ist erschienen in der Ausgabe der sächsischen Kirchenzeitung DER SONNTAG zum Reformationstag 2015

„Kerb“ – Kirchweihfest in Parobé, Brasilien




„Am Sonntag ist doch Kerb“, laden Norberto und Ligia uns ein, mit nach Parobé zukommen. „Kerb“ – das kenne ich aus Süddeutschland als „Kerwe“ – ist das Kirchweihfest. Es wird in Parobé immer im Oktober gefeiert, meistens am letzten Sonntag. Norberto war die letzten13 Jahre vor seinem Ruhestand Pfarrer in Parobé. So ist der Besuch zum Gemeindefest für ihn auch so etwas wie ein Nachhausekommen.

Für das junge Pfarrerehepaar, Mariana Mayer Kempf und Elmo Kempf, ist es das erste Kerb-Fest. Sie sind erst seit März 2015 in Parobé und teilen sich die Stelle, auch den Gottesdienst. Ein wenig nostalgisch begrüßt Pastora Mariana die Gemeinde mit „Guten Morgen“, wird aber später zugeben, dass sie kaum Deutsch kann, auch wenn ihr Familienname die deutschen Wurzeln erkennen lässt. Eine gewisse deutsche Nostalgie, für uns etwas befremdlich, sind die Streifen in den deutschen Nationalfarben neben dem Parament auf dem Altar und die schwarz-rot-goldenen Schleifen an den Bänken. Aber sonst ist alles brasilianisch.
Die Gemeinde, die zum Gottesdienst zahlreich erschienen ist, wird an die 98 Jahre ihrer Geschichte erinnert.  „Para que serve a igreja? Wozu dient die Kirche – 98 Jahre lang?“ So beginnt Pfarrer Elmo seine Predigt zu Markus 10,46-52, der Geschichte vom blinden Bartimäus. Am Schluss des Gottesdienstes wird ein neues Plakat enthüllt: „Wir sind Christen. Lutheraner seit 1917“. Das erntet lauten Beifall.
Dann geht das Fest über zum traditionellen Churrascoessen mit einem Bazar der Frauenhilfe und anschließender Polonaise. Damit dient „Kerb“ auch als Einnahmequelle für die Gemeinde. Pastora Mariana und Pastor Elmo haben die Talare gegen Trachten getauscht und mischen sich unter die Gemeinde. Auch viele andere sind in einer Tracht erschienen, die sich für uns nicht genau zuordnen lässt, aber irgendwie ein nostalgisches Bild von Deutschland vermittelt. Gelegentlich werden wir angesprochen: „Ach, ihr seid von Deutschland?“ Und einer sagt ganz erstaunt: „Ihr seht ja genauso aus wie unsereins?“
Als wir das Kirchengelände verlassen, entdecken wir die großen Plakate, die mit dem Bild von Martin Luther und der Lutherrose auf die 500-jährige Wiederkehr der Reformation aufmerksam machen: Die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB) versteckt sich auf dem großen Markt der Kirchen in Brasilien nicht. So hat sie auch ihr Jahresmotto gewählt: „Wir sind eine Kirche des Wortes“.
Vera Gast-Kellert, ehemalige Leiterin der GAW-Frauenarbeit





Übersetzung der Plakattexte:
1517 - 2017
500 Jahre Reformation
Lesen Sie die Bibel?
Martin Luther hat die Bibel für die ganze Christenheit übersetzt
Glauben Sie an Christus?
ER kommt zu uns aus Gnade: durch den Glauben
Wer sind wir?
Die Kirche Christi ist in beständiger Reform

Mittwoch, 28. Oktober 2015

Ein Besuch in der „Waldlinie“ - in Linha Floresta in Brasilien


Tres Passos, übersetzt „Drei Schritte“, heißt die Parochie ganz im Norden der Nordwestsynode der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB) im südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Aber sie ist weiter weg als drei Schritte. Unsere Anfahrt von Tres de Mayo zusammen mit Pastor Elói Neuhaus, der für die OGA (Obra Gustavo Adolfo)  in dieser Synode verantwortlichen ist, dauert fast zwei Stunden. In Tres Passos steigt Diakonin Cátia Patrícia Berner zu. Sie ist als Diakonin eingesegnet, hat aber in São Leopoldo Theologie studiert und versieht den Dienst einer Pfarrerin.

Unser Ziel ist die Gemeinde Linha Floresta (Waldlinie). Der Weg führt über die rote Erdstraße. Auf den Feldern wachsen Soja, Mais, Tabak und Weizen.

Unser Erstaunen ist groß, als uns an diesem Mittwochmorgen in der Linha Floresta eine fröhliche Gemeindegruppe erwartet. Die meisten sprechen Deutsch. Sie wissen auch, dass wir irgendetwas mit dem GAW zu tun haben. Cátia erzählt: „Der Gemeindepräsident hat fast geweint, als er gehört hat, dass das Projekt des Kirchenneubaus von der brasilianischen OGA an das GAW in Deutschland weiterempfohlen wurde und 2016 in den Projektkatalog aufgenommen wird.“

Eigentlich dürfte die Kirche noch nicht so baufällig sein, schließlich wurde sie erst 1976 eingeweiht. Aber schon ein leichter Schlag gegen die Wand genügt, um ein großes Loch zu hinterlassen. „Man hat damals sehr schlecht gebaut“, erläutert Cátia.
„Eigentlich sollte die Kirche geschlossen werden. Die Feuerwehr war schon da. Wir konnten das Schlimmste noch verhindern und feiern weiter hier Gottesdienst. Aber es ist nicht ganz ungefährlich. Die Glocke darf nicht mehr geläutet werden.“ Wahrscheinlich würde der ganze Turm zusammenbrechen, wenn die Glocke – handgeläutet – oben schwingt.

Die Gemeinde ist aktiv. Sie will selbst einen großen Beitrag für den Neubau leisten, sowohl durch Eigenarbeit als auch durch Bazare. „Ohne eine Kirche hat unsere Gemeinde keine Zukunft“, sagen alle übereinstimmend. „Auch wenn die Jugend zur Ausbildung in die Stadt zieht, hat sie ihre Wurzeln hier und möchte am Wochenende am Leben der Gemeinde teilhaben.“
Auf dem Rückweg gesteht Pastor Elói Neuhaus, dass er noch nie in Tres Passos und der Linha Floresta war. Er ist noch nicht lange in dieser Synode, und die Entfernungen sind groß. Auch für ihn war der Besuch eine große Bereicherung. Wieviel mehr für uns!
Vera Gast-Kellert, ehemalige Leiterin der GAW-Frauenarbeit